Ulysse Gaudaré auf seiner Tour.

Ulysse Gaudaré auf seiner Tour. © Ulysse Gaudaré

Interview mit Ulysse Gaudaré

Der französische Radenthusiast und Landwirtschaftsexperte Ulysse Gaudaré fährt mit dem Rad durch Europa, dabei besucht er landwirtschaftliche Betriebe und fragt die Bäuerinnen und Bauern, wie der Klimawandel ihre Arbeit beeinflusst.

Klagen über Dürren, Insektenplagen und Starkregen, aber auch einige innovative Lösungen sind ihm auf seiner Reise schon unterkommen. Ein Gespräch aus dem Sommer 2023.

Ulysse Gaudaré, seit acht Monaten radeln Sie quer durch Europa. Was treibt Sie an?

Nachdem ich letztes Jahr meine Doktorarbeit in Agrarwissenschaften eingereicht habe, wollte ich einfach nur reisen und mich bewegen. Ich fahre leidenschaftlich gern Rad und war neugierig auf die Ecken Europas, die für mich bisher nur weiße Flecken auf der Landkarte waren. Das wollte ich mit einem sinnvollen Ziel verbinden, darum bin ich auf die Idee gekommen, auf der Reise Landwirte zu besuchen.

Ich nenne meine Reise „Ecol'Odyssée“. Das ist ein Wortspiel aus dem französischen Wort „écologie“, also Umwelt, und „Odyssée“, der Reise von Odysseus aus der griechischen Mythologie. In den verschiedenen Ländern mache ich bei Bauernhöfen Pause und befrage die Landwirte, wie der Klimawandel ihre Arbeit beeinflusst. Mich interessiert, wie sich die Menschen an den Klimawandel anpassen. Die Antworten möchte ich in einem Dokumentarfilm zusammenfassen.

Wir sprechen in der rumänischen Stadt Brașov miteinander. Wo hat Ihre Tour Sie bisher schon hingeführt?

Im Januar 2023 bin ich in Bordeaux losgefahren. Zuerst ging es durch Südfrankreich nach Norditalien und weiter über mehrere Länder des Balkans wie Kroatien und Bosnien und dann bis nach Griechenland. Ich habe einen Abstecher nach Istanbul gemacht und bin dann von der Türkei aus weiter nach Bulgarien und schließlich nach Rumänien geradelt. Von hier aus will ich über Serbien, Ungarn, die Slowakei, Österreich, Tschechien, Deutschland und die Schweiz zurück nach Frankreich fahren. Wenn ich daheim ankomme, werden es wahrscheinlich 9.000 bis 10.000 Kilometer sein.

Wie weit fahren Sie pro Tag?

Das ist unterschiedlich, aber ich habe mir 75 Kilometer vorgenommen. In den letzten Monaten habe ich mich natürlich immer mehr ans Radfahren gewöhnt, darum sind es mittlerweile eher 85 Kilometer. Die Landschaft beeinflusst auch, wie gut ich vorankomme. Der Süden Rumäniens ist zum Beispiel sehr flach, und ich bin durch viele Weizen- und Sonnenblumenfelder geradelt. Das war ziemlich monoton, darum habe ich hier viel Strecke gemacht. Jetzt, wo ich in den Karpaten bin, schaffe ich weniger, weil die Umgebung so schön ist und ich die Steigung in den Beinen spüre. Immerhin muss ich meinen ganzen Hausrat den Berg hinaufschaffen! (lacht)

Was haben Sie denn alles in Ihren Satteltaschen dabei?

Am meisten Platz nehmen mein Zelt, der Schlafsack und mein Kochgeschirr ein. Als ich im Januar losgefahren bin, brauchte ich auch noch wärmere Kleidung. Ich habe Filmequipment dabei, weil ich alle Interviews mit den Landwirten aufzeichne. Das ganze Gepäck ist in vier Satteltaschen und einer Lenkertasche verstaut. Mein Tourenrad habe ich übrigens „Maïa“ genannt, weil es gelb und schwarz ist wie eine Biene. Und gleichzeitig heißt so auch eine griechische Göttin: Maïa ist die Mutter von Hermes, dem Gott der Reisenden – das fand ich passend.

Hat Maïa Sie während der letzten Monate sicher durch Europa getragen? Und wie viele Platten mussten Sie auf Ihrer Reise schon flicken?

Tatsächlich keinen einzigen! Ich bin selbst überrascht, aber auf den vergangenen 6.500 Kilometern ist alles gut gegangen. Vielleicht liegt es an meinen guten Reifen. Ich will keine Schleichwerbung machen, aber ich bin ein großer Fan von den Schwalbe Allround-Reifen. Das einzige kleine Malheur, was ich bisher hatte, war, dass mein dynamobetriebenes Handyladegerät irgendwann nicht mehr funktioniert hat. Das musste ich reparieren lassen, aber sonst gab es keine Pannen oder Unfälle.

Ich plane meine Routen normalerweise über die App komoot und nutze die offline verfügbaren Karten von Maps.me zur Navigation, darum ist das Dynamoladegerät extrem praktisch – wenn es funktioniert. Oft vergehen mehrere Tage, bis ich wieder an einem Ort mit Strom übernachte oder bei einem Bauernhof einen Zwischenstopp einlege.

Besuch einer Schaffarm nahe Arad, Rumänien.
Besuch einer Schaffarm nahe Arad, Rumänien. © Ulysse Gaudaré

Was für Bauernhöfe haben Sie bisher besucht?

Vor Rumänien war ich bei zehn Betrieben. Zwei davon haben Ziegenkäse produziert, ich war auf mehreren Gemüsehöfen, auf einer Olivenölfarm und zwei Weingütern. Ich halte mich nicht strikt daran, in jedem Land einen Bauernhof zu besuchen. Es hängt davon ab, welche Landwirte bereit sind, mit mir zu sprechen und mir ihre Arbeit zu zeigen. In der Regel biete ich dann meine Hilfe an und bleibe ein paar Tage. Ich nehme meine Kamera mit, filme ein bisschen und zwischendurch machen wir die Interviews.

 

Und was haben Ihnen die Landwirte bisher erzählt? In welchen Bereichen beeinflusst der Klimawandel ihre Arbeit?

In der Landwirtschaft ist man quasi an vorderster Front, was klimatische Veränderungen anbelangt. Wenn es insgesamt wärmer wird oder stärker regnet, dann hat das direkte Auswirkungen auf die Erträge. Alle Bäuerinnen und Bauern, mit denen ich gesprochen habe, erzählen, dass sie durch den Klimawandel mehr Arbeit haben. Sie müssen besser vorausplanen. Und meistens müssen sie für gleiche Erträge größeren Aufwand betreiben und mehr Geld hineinstecken.

Der erste Hof, den ich besucht habe, war ein Ziegenkäseproduzent in Frankreich. Dort gab es in den letzten Jahren immer wieder starke Dürren, darum ist die Vegetation nicht mehr so ertragreich wie früher. Wenn der Bauer seine Ziegen im Sommer draußen grasen lassen will, muss er viel weiter gehen als früher, damit die Ziegen genug Nahrung finden. Das bedeutet wiederum höhere Kosten für die gleiche Menge an Käse.

Landwirt in Kardzhali, Bulgarien.
Landwirt in Kardzhali, Bulgarien. © Ulysse Gaudaré

Sind Dürreperioden die größte Herausforderung für die Landwirte?

Fast alle haben über die sehr heißen Sommer und zu wenig Regen geklagt. Eine Ausnahme waren Höfe in den Bergen. Auf dem Balkan gab es wegen der Höhenlage keine Probleme mit dem Wasser. Aber dort hat mir ein Bauer erzählt, dass die Winter in den letzten Jahren sehr mild waren. Dadurch breiten sich bestimmte Pflanzenschädlinge und Insekten stärker aus, weil sie nicht wie früher im Frost sterben. Und das führt wiederum dazu, dass mehr Geld für Pestizide ausgegeben werden muss. Also auch wieder: Mehr Arbeit und höhere Kosten.

 

Wie erleben Sie die Landwirte? Machen sie sich große Sorgen, was die Zukunft an klimatischen Veränderungen mit sich bringt?  

Das ist unterschiedlich. Manche Bauern versuchen, ihre bisherige Produktionsweise beizubehalten und reagieren auf die Schwierigkeiten zum Beispiel mit mehr Pestiziden. Andere verändern den Anbau. In einem Weingut, das ich in Italien besucht habe, wurden die Reben von einem Südhang auf den Nordhang verlegt, weil es dort kühler und feuchter ist. Außerdem haben sie dort angefangen, andere Traubensorten anzubauen und experimentieren mit Olivenbäumen, also einem ganz anderen Produkt. In Bulgarien habe ich noch einen Weinbauern kennengelernt. Er baut jetzt neben Wein auch Pistazien und Lavendel an, weil diese Pflanzen besser mit den hohen Temperaturen klarkommen.

Ich habe den Eindruck, es ist so, wie in allen Lebensbereichen: Einige Landwirte sind abenteuerlustig und bereit, etwas Neues auszuprobieren. Andere sind vorsichtiger – oft auch, weil sie ein geringes Einkommen haben. Wenn das ganze Einkommen im Boden steckt, ist es sehr riskant, etwas Neues zu versuchen und zu scheitern. Die Landwirtschaft ist ein harter Job und verzeiht keine Fehler.  

Hatten Sie auf Ihrer bisherigen Reise eine Begegnung, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Ja, auf einer Insel bei Venedig habe ich einen Bauern kennengelernt, der mich sehr beeindruckt hat. Zu dem Zeitpunkt hatte es dort seit über fünf Monaten nicht geregnet. Und auch der letzte Sommer war extrem trocken. Dieser Landwirt sagte einen Satz, den ich nicht vergessen kann: „Alle freuen sich über Sonnenschein und Urlaubswetter. Aber wenn das so weitergeht, sterben wir Bauern.“

Harte Worte. Hat Sie das überrascht?

Überrascht eigentlich nicht. Ich habe mich ja wissenschaftlich intensiv mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft beschäftigt. Darum habe ich damit gerechnet, dass die meisten Landwirte es immer schwerer haben. Aber noch etwas Anderes hat mich besonders beeindruckt: Ich frage in meinen Interviews immer danach, ob die Landwirte mir eine Bauernweisheit oder ein Sprichwort erzählen können, das wegen des Klimawandels heute nicht mehr zutrifft. Und bisher hatten alle ein solches Beispiel!

Ein Bauer erzählte mir von dem Sprichwort „Mitte Februar muss die Scheune halbvoll sein“. Das heißt, dass man im Februar, also mitten im Winter, noch genug Heu als Futter für die Tiere hat. Aber jetzt stimmt das nicht mehr: Wegen der Dürren gibt es im Sommer nicht genug Gras, darum muss mit Heu zugefüttert werden. Und im Winter ist es so warm, dass die Tiere draußen selbst ihr Futter finden können.

Ich finde solche Beispiele extrem spannend, weil sie so deutlich zeigen, dass der Klimawandel real ist. Diese Weisheiten sind ja in einer Sprache verfasst, die alle verstehen. Darum glaube ich, dass man damit mehr Leute erreichen kann, als mit abstrakten wissenschaftlichen Studien.

Ulysse Gaudaré
Ulysse Gaudaré © Ulysse Gaudaré

Zur Person

Ulysse Gaudaré, 1993 geboren, ist Agrarwissenschaftler. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit Treibhausgasprojektionen und der Frage, wie Landwirtschaft, Ernährung und Klima miteinander verknüpft sind.

 

Wollen Sie diese Eindrücke darum in einem Dokumentarfilm veröffentlichen?

Ja, genau. Ich möchte zeigen, dass Landwirte überall in Europa durch den Klimawandel vor extrem großen Herausforderungen stehen. In meinem Film sollen die Worte dieser Menschen für sich sprechen. Ich selbst will nicht sichtbar sein, und es wird darin auch nicht um meine Reise oder irgendwelche Radthemen gehen.

Macht Ihnen das Radfahren nach all den Monaten im Sattel eigentlich immer noch Spaß?

Ja, sehr! (lacht) Ich liebe es, dass es beim Radeln keine Grenze zwischen mir und meiner Umwelt gibt. Ich spüre die Sonne und den Regen, ich höre Tiergeräusche im Wald und rieche frischgemähtes Gras. Und ich kann jederzeit anhalten, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Oft reicht schon ein Blick oder ein Lächeln.

Interview: Gundula Haage

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