Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Ortsgruppe Falkensee

Exkurs: Mobil im Alltag – Umwelt.Zeit.Geld.Leben

Wie sich Radfahren auf die Gesundheit und Gesellschaft auswirkt.

Mobil im Alltag – Umwelt.Zeit.Geld.Leben

Zusammenfassung

Gegenstand der Präsentation sind die Auswirkungen der Verkehrsmittelwahl für die Alltagswege auf unterschiedliche individuell und / oder gesellschaftlich relevante Parameter sowie eine Diskussion möglicher Konsequenzen. Verwendet wurden medizinische Publikationen und allgemein verfügbare statistische Daten.

Umwelteffekte

In den Kategorien Energieverbrauch / Schadstoffproduktion und Lärmerzeugung schneiden die nicht motorisierten Verkehrsarten am weitaus besten ab. Beim Flächenverbrauch erweist sich der öffentliche Verkehr als besonders günstig.

Zeit und individuelle Kosten

Je nach Distanz sind rationale Konzepte sowohl für eine überwiegend fahrradgestützte Mobilität als auch für Kombinationen von Fahrrad und Automobil oder von Fahrrad und deutlich verbessertem öffentlichen Verkehr darstellbar. Alle anderen Konzepte weisen eine deutlich schlechtere Relation zwischen Kosten und aufgewendeter disponibler Lebenszeit auf.

Sterblichkeitsrisiko

Regelmäßiges Gehen vermindert das Sterblichkeitsrisiko um 18% bei einer Gehstrecke von 50 Kilometern wöchentlich. Regelmäßiges Radfahren mit mittlerer Geschwindigkeit vermindert das Sterblichkeitsrisiko um 28% bei einer wöchentlichen Radfahrstrecke von ebenfalls 50 Kilometern. Diese Effekte wurde in mehreren Langzeitstudien mit sehr großer Teilnehmerzahl sowie in einer Metaanalyse der WHO beschrieben und treten unabhängig von der sonstigen Lebenssituation und Lebensführung ein. Sie sind in allen berücksichtigten Studien signifikant und umso ausgeprägter, je größer die wöchentliche Geh- oder Radfahrleistung ist. Die Lebenserwartung verlängert sich bei einer wöchentlichen Radfahrstrecke von 50 Kilometern um mindestens 4 Jahre (4,10,12,23). Eine weitere große, 2017 erschienene Studie bekräftigt diese Ergebnisse auf etwas höherem Niveau; und sie liefert die zusätzliche Information, dass die Kombination von Fahrrad und öffentlichem Verkehr das Sterblichkeitsrisiko um 24% senkt, dass aber die Nutzung des öffentlichen Verkehrs ohne Fahrrad das Sterblichkeitsrisiko nicht verändert (5).

82% der erwachsenen deutschen Bevölkerung benutzen das Fahrrad nicht oder nicht regelmäßig (8); allein aufgrund dieses Umstands sterben in Deutschland jährlich rund 214.000 Menschen vorzeitig.

Krankheitsrisiko und altersbedingte Leistungsminderung

Für Berufstätige in Deutschland wurde nachgewiesen, dass die Zahl ihrer Krankheitstage nach Korrektur um andere Einflussfaktoren um 29% sinkt, wenn sie ihren Arbeitsweg mit dem Fahrrad zurücklegen (9); das Sterblichkeitsrisiko würde bei der dabei erbrachten Radverkehrsleistung von 68 km wöchentlich um 32% sinken. Für Kreislauferkrankungen, Krebserkrankungen und Diabetes stellt die WHO fest, dass durch körperliche Aktivität das Erkrankungsrisiko für diese Diagnosengruppen stärker sinkt als das Sterblichkeitsrisiko (22); 2017 wurde erstmals eine ähnliche Relation für regelmäßiges Radfahren publiziert (5). Angesichts einer Minderung der Sterblichkeit um 28% dürfte deshalb eine Radfahrleistung von 50 km wöchentlich das Erkrankungsrisiko für die genannten Krankheitsgruppen um etwa 34% und für alle Erkrankungen um 25% senken.

Regelmäßiger Ausdauersport (Laufen) verzögert gegenüber einer sonst vergleichbaren Gruppe von Nichtläufern das Einsetzen der altersbedingten Leistungsminderung um 16 Jahre; die Lebenserwartung war um etwa 5 Jahre verlängert (6). Da regelmäßiges Radfahren die 2

Lebenserwartung um mindestens 4 Jahre verlängert, darf auch hier eine Verzögerung altersbedingter Leistungseinschränkungen um mindestens 12 Jahre erwartet werden.

Krankheits- und Pflegekosten

Die Gesamtausgaben für Krankheit und Pflege betrugen 2018 in Deutschland 387,2 Milliarden Euro, hinzu kommen etwa 59,8 Milliarden Euro Lohnfortzahlung durch Arbeitgeber (einschließlich Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung) (8,13). Die Hälfte der kumulierten Krankheitskosten eines Menschen entfällt auf die Zeit nach Vollendung des 65. Lebensjahrs (14).

Die Kosten für Krankenhausbehandlung und Langzeitpflege im letzten Lebensjahr verringern sich gemäß einer finnischen Studie um 15% bei zuvor mäßig aktiv gewesenen Menschen (21). Für die Krankheits- und Pflegekosten während des vorherigen Lebens sowie für die Entgeltsfortzahlung wird vereinfachend angenommen, dass sie sich proportional zum allgemeinen Morbiditätsrisiko verhalten. Für Zahnbehandlungen wird abweichend angenommen, dass sie weder Krankheitstage verursachen noch durch das Mobilitätsmuster beeinflusst werden.

Durch Gehen werden die Krankheits- und Pflegekosten in Deutschland aktuell um knapp 14 Milliarden Euro jährlich verringert. 2017 wurden in Deutschland 11,2% aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. 18% der deutschen erwachsenen Bevölkerung gaben an, täglich oder annähernd täglich Rad zu fahren; 17% der Bevölkerung nutzen das Fahrrad 1 - 3 mal wöchentlich (7). Aus dieser Radfahrleistung resultieren zurzeit Kosteneinsparungen im Gesundheits- und Pflegebereich in Höhe von 23 Milliarden Euro pro Jahr; eine weitere Kostensenkung in Höhe von 86 Milliarden Euro jährlich wäre zu erwarten, wenn die gesamte Bevölkerung das Fahrrad in einem Umfang von 50 km wöchentlich nutzte. Schließlich enthalten die Krankheitskosten einen Betrag von insgesamt 26 Milliarden Euro jährlich für Personenschäden durch Unfälle mit MIV-Beteiligung, welche nicht von der Kfz-Versicherung getragen werden, sowie für Gesundheitsschäden, die durch Luftschadstoffe verursacht sind, soweit diese Emissionen aus dem motorisierten Personenverkehr resultieren (16,17,18,19,20). Summarisch wird danach ein Anteil von rund 150 Milliarden Euro jährlich an den Gesundheitskosten durch das Mobilitätsverhalten unmittelbar beeinflusst. Einem Radverkehrsanteil von rund 110 Milliarden Euro an den schon realisierten und potenziellen Einsparungen stehen auch gegenwärtig Förderbeträge der öffentlichen Kostenträger von insgesamt weniger als einer Milliarde Euro jährlich gegenüber (geschätzter Wert, modifiziert nach (2)).

Interventionsoptionen

Neben der Verbreitung von Informationen über den individuellen und gesellschaftlichen Nutzen ist eine Förderung des Fahrradgebrauchs grundsätzlich über individuelle Anreize oder über eine Verbesserung der Rahmenbedingungen denkbar. Bonussysteme würden Umfragen zufolge viele Menschen zu einer verstärkten Nutzung des Fahrrads motivieren; sie sollten deshalb erprobt und hinsichtlich ihrer Effizienz evaluiert werden (11).

Für 43 deutsche Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern sind sowohl zur Qualität der Infrastruktur für den Radverkehr als auch für das Ausmaß der Fahrradnutzung aktuelle Angaben verfügbar. Es zeigt sich ein hoch signifikanter (p<0,001), im vergebenen Notenbereich von 3,1 bis 4,6 annähernd linearer Zusammenhang zwischen wahrgenommener Qualität der Infrastruktur und Fahrradnutzung. Eine Qualitätsverbesserung um eine Schulnote steigert den Anteil des Fahrrades an allen Fahrten um 12,5 Prozentpunkte; dies entspricht einer Steigerung des Bevölkerungsanteils, welcher täglich Fahrrad fährt, um 20 Prozentpunkte (1,3,15).

Die Teilnehmer am ADFC-Fahrradklimatest 2016 vergaben für das ganze Bundesgebiet eine Durchschnittsnote von 3,9 für die Radverkehrsbedingungen. Gute Bedingungen, also eine Note von 2,0, könnten demnach zur Folge haben, dass der Modal Split für den Fahrradverkehr von 11,2% auf 3

35% steigt und dass der Anteil der erwachsenen Bevölkerung, welcher täglich oder annähernd täglich Rad fährt, sich von 18% auf 56% mehr als verdreifacht – zumindest legen die genannten Untersuchungen diese Schlussfolgerung nahe. Dieses Szenario würde in Deutschland weitere 100.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verhindern; die skizzierte Qualitätsverbesserung hätte außerdem eine zusätzliche Kostensenkung allein im Gesundheits- und Pflegebereich in der Größenordnung von 37 Milliarden Euro jährlich zur Folge. 4

Referenzen

1 ADFC-Fahrradklima-Test 2016 www.adfc.de/artikel/adfc-fahrradklima-test-2016/

2 Alrutz D: Finanzierung der Radverkehrsinfrastruktur in Kommunen (2013) 2013.nationaler-radverkehrskongress.de/programm/vortraege/F2_B5_Alrutz_Praesentation.pdf

3 Agora Verkehrswende, DLR: Städte in Bewegung (2020) www.agora-verkehrswende.de/fileadmin/Projekte/2020/Staedteprofile/Agora-Verkehrswende_Bewegung_in_Staedten_1-2.pdf

4 Andersen LB, Schnohr P, Schroll M, Hein HO: All-cause mortality associated with physical activity during leisure time, work, sports, and cycling to work Arch Intern Med 2000, 160: 1621-1628 www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10847255

5 Celis-Morales CA, Lyall DM, Welsh P, Anderson J, Steell L, Yibing G, Maldonado R, Mackay DF, Pell JP, Sattar N, Gill JM: Association between active commuting and incident cardiovascular disease, cancer, and mortality: prospective cohort study BMJ 2017;357:j1456

www.bmj.com/content/357/bmj.j1456

6 Fries JE: The theory and practice of active aging Current Gerontology and Geriatrics Research 2012 www.hindawi.com/journals/cggr/2012/420637/

7 infas: Mobilität in Deutschland 2017 www.mobilitaet-in-deutschland.de/pdf/infas_Mobilitaet_in_Deutschland_2017_Kurzreport.pdf

8 Institut der Deutschen Wirtschaft: Entgeltfortzahlung 2017 (2018) www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2018/IW-Kurzbericht_2018-84_Entgeltfortzahlung.pdf

9 Kemen J: Mobilität und Gesundheit – Einfluss der Verkehrsmittelnutzung auf die Gesundheit Berufstätiger (2016) www.springer.com/de/book/9783658135935

10 Matthews CE, Adriana L. Jurj, Xiao-ou Shu, Hong-Lan Li, Gong Yang, Qi Li, Yu-Tang

Gao, and Wei Zheng: Influence of Exercise, Walking, Cycling, and Overall Nonexercise Physical Activity on Mortality in Chinese Women

Am J Epidemiol 2007;165:1343–1350 www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17478434

11 Sinus: Fahrrad-Monitor Deutschland 2019 www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/K/fahrradmonitor-2019-ergebnisse.pdf 5

12 Statistisches Bundesamt: Generationensterbetafeln für Deutschland, Modellrechnungen für die Geburtsjahrgänge 1896-2009; 2011 www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/Bevoelkerungsbewegung/Generationssterbetafeln.html

13 Statistisches Bundesamt: Gesundheitsausgaben 2017 Prognose 2018 www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/03/PD19_109_23611.html

14 Statistisches Bundesamt: Krankheitskosten 2015 nach Krankheiten (2017) www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2017/09/PD17_347_236.html;jsessionid=FEE9F5D18CF0023E477685740D8FADEB.internet722

15 TU Dresden: Sonderauswertung zum Forschungsprojekt „Mobilität in Städten – SrV 2018“ – Städtevergleich tu-dresden.de/bu/verkehr/ivs/srv/ressourcen/dateien/SrV2018_Staedtevergleich.pdf

16 Umweltbundesamt: Daten zum Verkehr. Ausgabe 2012

www.umweltbundesamt.de/publikationen/daten-verkehr

17 Umweltbundesamt: Quantifizierung von umweltbedingten Krankheitslasten aufgrund der Stickstoffdioxid-Exposition in Deutschland (2018) www.umweltbundesamt.de/publikationen/quantifizierung-von-umweltbedingten

18 Umweltbundesamt: Staub (PM10)-Emissionen nach Quellkategorien (2019) www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/2_abb_staub-pm10-emi-quellkat_2019.pdf

19 Umweltbundesamt: Stickstoffoxid-Emissionen nach Quellkategorien (2019) www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/2_abb_stickstoffoxid-emi_2019.pdf

20 Umweltbundesamt: Vorzeitige Todesfälle durch von Feinstaub verursachte Erkrankungen (2017) www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/de_indikator_gesu-04_gesundheitsrisiken-feinstaub_2017-10-23.pdf

21 Von Bonsdorff MB, Rantanen T, Kujala UM, Törmäkangas T, Mänty M, Heikkinen E: Physical activity history and end-of-life hospital and long-term care J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2009, 64A, No.7: 778-784 biomedgerontology.oxfordjournals.org/content/64A/7/778.full

22 WHO: Global status report on noncommunicable diseases 2010

www.who.int/nmh/publications/ncd_report2010/en/

23 WHO: Development of the health economic assessment tools (HEAT) for walking and cycling Meeting report of the consensus workshop in Bonn, Germany, 1–2 October 2013

www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/248900/Development-of-the-health-economic-assessment-tools-HEAT-for-walking-and-cycling.pdf 6

Autoren

Dr. Wolfgang Raabe bewegungskonzepte.raabe@web.de

Statistik: Dr. Detlef Steuer Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, steuer@hsu-hh.de

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